Berlin ist furchtbar langweilig
Manchmal, ja im Grunde eher selten, gibt es diese Begegnungen, bei denen ich spüre, hier versteht mich jemand. Und wenn dieser Mensch obendrein kreativ und inspirierend ist, warmherzig und originell auf andere zugeht, dann bin ich echt beeindruckt. Paulina hat das geschafft. Seit fast einem Jahr ist sie Inhaberin und der kreative Kopf von Paulina’s Friends – einem wirklich besonderen Concept Store für Kunst, Design und Vintage-Mode in der Gartenstrasse in Berlin Mitte. Im letzten Herbst bin ich ihr erstmals in ihrer Box im Bikini Berlin begegnet, ein schriller, bunter Ort- wildester Vintage Designermode aus Paris und London, moderner Kunst und Kunsthandwerk, Statement-Accessoires, nichts Alltägliches, nur besondere Sachen, alles sorgfältig ausgewählt. Ich fühlte mich wie im 7. Himmel. Und ja, ähnliches wünsche ich mir mehr in dieser Stadt, gerade im Bikini, wo irgendwann einmal die Vision im Raum stand – neue innovative Ideen aus Berlin zu fördern.
Mittlerweile bist Du in Mitte angekommen, sind dir deine Kunden gefolgt oder hast Du hier wieder von vorne angefangen? Was ist anders als vorher?
Einige sind mir gefolgt, die meisten sind aber komplett neu. Ja, ich habe schon das Gefühl, dass ich wieder von vorne anfangen musste – es ist ein komplett neuer Standort mit neuem Publikum, was kaum heterogener sein kann – von englischsprachigen Hipstern am Rosenthaler Platz bis Einheimischen aus dem damaligen Ostberlin, die mit ihrem Hund Gassi gehen. Diese Diversität passt sehr gut zu unserem Concept, da unsere Zielgruppe sehr breit aufgestellt ist. Man ist immer wieder überrascht was für Menschen in den Laden reingehen. Auch meine Aussteller sind größtenteils neu und sehr unterschiedlich. Diese Freiheit ist mir essenziell wichtig. Ich bleibe meinem Motto „Es gibt nichts sicheres als der ständige Wandel“ treu.
Kreativagentur, Conceptstore und Kunstgalerie- wie verbinden sich diese drei Schlagwörter?
Die Agentur spürt Talente an der Schnittstelle von Kunst, Design & Mode auf. Wir definieren uns eigentlich als Concept Gallery – weil wir ein Concept Store (vorderer Raumbereich mit Unikaten aus den Bereichen Design & Kunsthandwerk) und Kunstgalerie (hinterer großer White Cube Raum) vereinen. Also ein Shoowroom für kollaborative Konzepte, wo Kreative ihren Marktwert testen können und ihre Kreationen für einen temporären Zeitraum promoten können.
Wenn deine Künstler bei dir ausstellen, habe ich den Eindruck, Du bist von ihnen wirklich überzeugt. Nach welchen Kriterien wählst du aus?
Ehrlich gesagt finden mich die Leute selbst. Wir müssen ganz wenig „akquirieren“. Natürlich muss die Qualität stimmen und den Unikatcharakter des Sortiments – also Unikatstücke oder limitierte Kleinserien. Das Menschliche und die Chemie muss aber in erster Linie stimmen.
Woher kennst Du deine Künstler und Designer?
Aus meiner langjährigen Tätigkeit bei einem Nonprofit Verein im Bereich Skulptur, dann bei den Berliner Kunstmessen, später als Galeriedirektorin, schließlich im Verlagswesen…Die festen und freien Jobs dafür waren die Basis meiner Selbständigkeit und mein Sprungbrett.
Du setzt nicht auf ein vermeintlich sicheres Konzept, wie Marken und Künstler, die garantiert „laufen“ – warum nicht? Verrückt oder innovativ?
Es ist doch viel spannender „no names“ zu vermarkten. Da hat man mehr Gestaltungsfreiraum. Selbst entdecken, staunen, inszenieren, komponieren. Die Menschen sind bodenständiger, normaler, nicht so verdorben und abgehoben. Ich kann die Topliga der Kunst- und Designszene nicht leiden, ehrlich gesprochen. Ich hatte die Möglichkeit in dieser Liga eine kurze Zeit zu spielen und einige Leute dort kennenzulernen. Es ist wirklich gar nicht meine Welt. Ich bin weder eine hohe Tochter, noch habe ich reich geheiratet… Woher sollte ich die Kontakte zu den Top-Künstlern, Designern und den Sammlern haben? Es gibt einige wenige Galeristen in Berlin, die nur von der Kunst leben, die sie verkaufen (ohne andere Geschäfte im Hintergrund). Ich backe lieber kleine Bröttchen und bleibe frei und unangepasst.
Warum ist Paulina´s Friends eigentlich in Berlin? Nicht Spanien, Italien oder Frankreich…. Deine wilden Ideen sind nicht gerade so „typisch deutsch“.
Die Frage habe ich mir schon öfters selbst gestellt „Was mache ich denn hier überhaupt, wo die meisten Menschen wir graue Mäuse aussehen und sich nicht trauen“! Allein vom Style her, passt der Süden natürlich besser zu mir (ich komme ja letztendlich aus dem Süden) Aber vor allem in Deutschland und sogar in Berlin braucht man frischen Wind und man hat hier die Freiheit etwas durchzusetzen. In meiner Heimat Bulgarien kenne ich die Strukturen nicht wirklich, da ich schon die Hälfte meines Lebens hier lebe. Expandieren kann man sicherlich irgendwann!
Wie viele Ausstellungen und Events hattest du schon in diesem ersten 3/4 Jahr? Ich komme gar nicht mehr hinterher, ständig passiert bei Dir was. Erzähl mal!
Ich habe sie nicht gezählt, weil sie so viele sind. Teilweise jede Woche, oder ein mal im Monat. Wir haben einen permanenten Wechsel an Designern & Künstlern. Von nichts kommt nichts – also müssen wir immer aktiv bleiben um wahrgenommen zu werden. Mein unermüdlicher Tatendrang treibt mich da an.
Wie reagieren Kunden wenn sie in deinen Laden kommen?
Die meisten sind verzaubert, wenn sie die Geduld und Muße haben, länger als 2 Minuten drinnen zu bleiben. Mit allen komme ich persönlich ins Gespräch, und oft entwickelt sich durch das Zufallsprinzip eine Art von Zusammenarbeit oder emotionaler Bindung. Ich glaube, man vergisst den Besuch bei PAULINA’S FRIENDS nicht so einfach.
Welches Publikum versteht dein Konzept?
Intellektuelle, Kreative, nonkonforme, unangepasste Menschen, die outside of the mainstream leben. Keine reichen statusorientierten Schnösel obwohl ich gerade bei der Vintagesammlung viel Markenware habe.
Was war der Ursprung von Paulina´s Friends.
PAULINA’S FRIENDS ist wie ein Puzzlebild entstanden. Plötzlich haben sich Erfahrungen, Dingen und Menschen zu einem Ganzen gefügt. Ich denke, der Ursprung liegt in meiner eigenen kreativen Tätigkeit als Kund. Da habe ich stundenlang gemalt und Muster kreiert, die man auf alles übertragen konnte. Die Farben- und Formkonstellationen haben sich in mehreren Objekten wiedergefunden. Plötzlich habe ich verborgene Zusammenhänge erkennen können und das wurde meine Leidenschaft, zufällige Verbindungen zu komponieren. Vielfalt verbindet.
Du hast mir mal erzählt, dass so viele Dinge von allein passiert sind im ersten Jahr, viele glückliche Begegnungen, Freunde und neue Freunde haben dir geholfen, immer präsenter zu werden. Was ist das anziehende Geheimnis von Paulina´s Friends?
Das Erkennen der Einzigartigkeit jedes Menschen. Wir nehmen jeden ernst, weil wir Authentizität und Vielfalt lieben. Jeder Mensch ist ein Unikat. Aber um es auf den Punkt zu bringen – die Macht des Zufalls im Moment der Begegnung mit dem Menschen und seinem Wesen ist unser Geheimnis. Die Systematisierung solcher Zufälle funktioniert ähnlich wie Alchemie…Aber mehr verrate ich nicht, denn evt. schreibe ich sogar eine Doktorarbeit darüber
Bitte erzähle doch noch mal kurz, warum du aus deiner sicheren Existenz ausgestiegen bist? Wachst Du manchmal nachts auf und denkst: was habe ich getan?
Nein, ich bereue keinen einzigen Tag meinen Schritt in die Selbständigkeit. Wenn ich irgendwann große Geldprobleme hätte, lasse ich mich wieder irgendwo anstellen. Und so sicher war meine Existenz dann doch nicht – die kreative Szene ist für die große Ausbeutung bekannt.
Denkst Du, dass deine Herkunft Paulina´s Friends prägt?
Auf jeden Fall – ich bin in meiner Denkart nicht besonders strukturiert und pragmatisch. Auch mag ich keine Schubladen, sondern ich mag die Synergien zwischen Dingen und Menschen, ich suche immer nach dem verbindenden Element. Vielleicht ist es weit hergeholt, aber all diese Eigenschaften resultieren aus dem Ethnos der Bulgaren, die sich über die Jahrtausende immer mit anderen Kulturen vermischt haben. Der Kampf ums Überleben, die existenziellen Nöte, die ich am Anfang hier in Deutschland durchmachen musste, haben mich mutig und experimentierfreudig gemacht. Mein Temperament und meine Persönlichkeit prägen den Laden mit seinem Spirit auf jeden Fall!
Und nun mal in eigener Sache: Was ist guter Stil für Dich?
Die Fähigkeit Kleidungsstücke und Accessoires so zu kombinieren und zu tragen, dass jeder denkt, Du bist ein Luxusweib, und Du trägst dabei eine 3 Euro Kette zusammen mit einem H&M teil (obwohl ich grundsätzlich total gegen Massenkleidung und Billigkonsum bin). Wie man (sich/es) trägt ist ausschlaggebender als was man trägt.
Du fällst auf hier in Berlin bunt und teilweise opulent gekleidet- der typische Berliner Minimalismus interessiert Dich nicht wirklich, oder? Ist da nicht was verloren gegangen in den letzten Jahren im Stadtbild?
Ja, ich finde Berlin irgendwo furchtbar langweilig und „möchte-gern-großstädtisch-sein“, aber an sich irgendwo wie eine abgekupferte Kopie von London oder NY. Viele haben eine falsche Vorstellung von Berlin bevor sie hierher ziehen und passen sich viel zu sehr an. Man muss ja nicht immer in schwarzen Kartoffelsäcken rumlaufen, um wichtig zu sein. Berlin hat für mich eine merkwürdige Identität. Trotz großer Vielfalt ist Berlin irgendwo ein Riesenhaufen von gescheiterten Existenzen und vielen Menschen, die auf der Suche nach etwas sind, was es nicht gibt. Man verwechselt hier Individualismus mit Authentizität, Ignoranz mit Toleranz, Normalität mit Biederkeit. Ich bin wie Du merkst, sehr Berlin-kritisch. Was im Stadtbild hier verloren gegangen ist, ist m.E. Die Wahrnehmung der Existenz des normalen durchschnittlichen Menschen (vor allem aus der ehemaligen DDR). Stattdessen ist die Stadt überfüllt von Biohipstern, die nur Englisch sprechen, weil es so cooler ist, und die die Mode hier zu diktieren scheinen. Da passe ich mich keineswegs an!
Ich wünsche mir, dass die Menschen wieder das Besondere erkennen, weniger konsumieren und stattdessen das finden, was ihnen wirklich etwas bedeutet. Welche Beobachtungen hast du vielleicht dazu gemacht?
Die Mehrheit der Leute hat überhaupt kein Verständnis für den Wert eines Unikats. Weil wir nicht wissen dass wir selbst welche sind und nicht austauschbar sind. Meine Konsumkultur hat sich drastisch verändert, seitdem ich mit Kunsthandwerkern und kleinen Manufakturen zusammenarbeite. Ohne ein Minimalismus-Sklave zu sein, muss ich zugeben dass selbst für mich, die immer gedacht hat „mehr ist mehr“, bei manchen Produkten weniger viel mehr ist.
Wer oder was inspiriert Dich?
Menschen und Lebewesen, die Liebe, Demut und Vertrauen zum großen Ganzen ausstrahlen. Mutige Menschen, die so leben als würden sie morgen sterben. Zufälle. Einfachheit. Natur.