Auf der Suche nach glücklichen Zufällen…
Wir haben die Produktdesignerin und Installationskünstlerin Carolin Koch in ihrer Werkstatt in Berlin-Rixdorf besucht und spontan Einiges, was so rumlag, fotografisch dokumentiert. Das war ein echtes Wunderkammer-Erlebnis!
Text: Paulina Tsvetanova
Carolin, Rixdorf ist ja ganz wenigen als Teil Neuköllns bekannt. Was hat Dich hierhin geführt?
Ich habe zuerst ein knappes Jahr in Kreuzberg gewohnt. Weil ich mich räumlich vergrößern wollte, suchte ich eine neue Wohnung. Neukölln fand ich mit seinem rauen Pflaster und der Möglichkeit einer Weiterentwicklung des Bezirks schon immer interessant. Ein lieber Freund hat sich für mich umgehört und über eine frei gewordene Wohnung seiner Hausverwalterin bin ich nach Neukölln gekommen.
Im ersten Leben warst Du Goldschmiedin. Wie wird eine Goldschmiedin zur Künstlerin?
Ui, das ist gar nicht in ein paar Sätzen zu beantworten. Da muss ich ein wenig ausholen. In meinem Leben passiert wohl nichts zufällig. Viele Entscheidungen für irgendetwas sind nicht von Beginn an klar. Ich stand kurz vor dem Abitur und hatte keine Idee, was ich danach machen könnte. Eine Mitschülerin erzählte mir von ihrem Wunsch einer Ausbildung zur Goldschmiedin. „Aha, Goldschmiedin, das wär doch vielleicht was“, so dachte ich mir. Auf jeden Fall kein Studium, sondern was Handwerkliches. Damals gab es nur wenige Ausbildungsplätze. Eine andere Mitschülerin kannte den Inhaber einer Goldschmiede. Dort habe ich dann auch über 3,5 Jahre meine Ausbildung zur Goldschmiedin gemacht. Das Highlight war der freitägliche Berufsschultag in Köln.
Mein Chef war ein exzellenter Zeichner und Designer. Die Vorstellung, eine eigene Kreation auf Papier in 3D zu realisieren hat mich immer fasziniert. Nach der Lehre habe ich Design mit der Fachrichtung Produktdesign in Münster studiert. Auch das hat seine ganz eigene Geschichte. Wie viel Zeit hast du, Paulina? 😉 Darüber habe ich eine Künstlerin kennen gelernt, die mich einlud, in ihrem Atelier auszustellen. Das war kurz vor meinem Umzug Ende 2008 nach Berlin. Zu diesem Anlass sind die ersten Objektrahmen mit Naturmaterialien entstanden. Tja … und in Berlin habe ich mich dann weiterentwickelt. Meine Teilnahme an „48 Stunden Neukölln“ 2009 war wie ein Sprungbrett für mich.
Begreifst Du Dich als Designerin, Künstlerin oder Handwerkerin? Die Grenzen werden ja heutzutage immer fließender. Wie lässt sich das vereinen? Wo fängt Kunst an, wo hört Design auf und umgekehrt?
Es ist eben genau diese Mischung. Ich bin weder nur das eine noch ausschließlich das andere. Die Mischung macht den Reiz aus. Das Designstudium hat mich in der Optik und Handhabbarkeit geschult. Meine künstlerische Seite lässt Ordnungsmuster entstehen, stellt alles auf den Kopf oder/ und kombiniert, was scheinbar nicht zusammen passt. Das handwerkliche Geschick brauche ich für die Umsetzung meiner Ideen. Die Grenze ist fließend. Das sehe ich genau so, wie du und begrüße es sehr. Das eine vom anderen zu separieren, finde ich unsinnig. Ich selbst frage nicht danach, was was ist. Ich mache es, weil es mir so gefällt und vermeide Kategorien. Warum auch? Das ist doch gerade die Freiheit des Künstlers.
Deine Arbeit lebt von kleinen Geschichten – oft skurril-eigensinnig, oft tiefsinnig-verborgen…Deine persönliche Geschichte kurz zusammengefasst?
Etwas kurz zusammen zu fassen gehört nicht gerade zu meinen Stärken, wie du sicher schon bemerkt hast 😉 Okay. Drei Worte, die es auf den Punkt bringen: Zufälle, Zufälle, Zufälle. Schicksal geht auch 😉 Das englische Wort „serendipity“ für „glücklicher Zufall“ trifft es am besten. Ich bin eben ein Sonntagskind.
Du hast es geschafft, Dein Hobby, nämlich alltägliche Dinge, die für die meisten unscheinbar bleiben, zu sammeln, mit einer fast wissenschaftlichen Akribie zu erforschen und in einen neuen Kontext zu setzen. Woher kommt das? Gab es eine Kindheitsgeschichte, die es ausgelöst hat?
Interessante Frage. Hat es einen Ursprung? Ja, vielleicht. Als Kind habe ich am liebsten mit Holzklötzchen, Murmeln, Garnrollen oder sonstigen Dingen gespielt, die scheinbar gleich und doch alle unterschiedlich im Detail sind. Ich habe gern sortiert und geordnet. Das spiegelt sich ja auch in meinen Arbeiten wider.
Den Dingen auf den Grund zu gehen, deren Besonderheiten einzufangen, sie zu veredeln. Dein Ansatz hat was von Alchemie. Wo findest Du Dein „Gold“?
Häufig auf der Straße. Mein Blick ist, wie ein Detektor mehr zu Boden, denn geradeaus gerichtet. Manchmal sind es Geschenke von Freunden. Es gibt einen tollen Trödelladen in der Richardstraße. Die haben irgendwie alles, von der Büroklammer bis zum Wohnzimmerschrank. Wenn ich dort nicht finde, was ich eigentlich suche, finde ich was anderes, was mitunter sogar noch besser passt oder mich auf eine andere Idee bringt. Oft finde ich und suche gar nicht 😉
Trägt alles was Du sammelst Gebrauchsspuren?..Ist alles also „vintage“ oder gibt es Werke, die aus neuen „Reliquien des Alltags“ entstehen?
Daran habe ich mich auch versucht: Neues kaufen und miteinbeziehen. Aber das ist aalglatt und hat nichts erlebt. Zu langweilig. Die Patina des Objekts erzählt ganz ohne Worte und ist viel spannender. Es gibt noch ein Projekt mit Eislöffeln, die ich neu erworben, aber in ihrer Optik verändert habe. So geht’s dann auch. Die warten noch darauf, dass ich mich mit ihnen beschäftige.
Deine Werkstatt ist ein wahres Museum. Du lebst im wortwörtlichen Sinne umgeben und absorbiert von Deinen Fundstücken. Brauchst Du da nicht ein wenig Privatsphäre um Energie und Kraft für die nächste Entdeckungsreise zu sammeln?
Unter anderem ist das meine Inspiration. Ich mag keine gänzlich weißen Wände. Ich brauche eine visuelle Fülle für neue Ideen. Die Dinge um mich herum sind ja nicht immer und allesamt präsent. Manches lagert in Kisten oder Sortimentskästen. Für eine aktuelle Ausstellung habe ich aus meinem Fundus alles zusammen getragen, was mich irgendwie angesprochen hat. Nach und nach haben sich so die Arbeiten daraus entwickelt.
Wie wichtig ist Dir Farbe?
Farbe ist mir erst seit Kurzem sehr wichtig geworden. Farbe ist Leben und Energie. Du kannst sie dezent und akzentuiert, gezielt einsetzen oder es richtig krachen lassen. In meinen aktuellen Arbeiten habe ich häufiger mit neonfarbenem Plakatkarton gearbeitet. Neulich, bei „48 Stunden Neukölln“ 2016, habe ich fluoreszierende Farben und Schwarzlicht verwendet. Das hatte eine schöne Wirkung.
Und wie verhält sich die Zweidimensionalität zur Dreidimensionalität in Deinem Werk?
Alles ist möglich und kombinierbar. Es gibt keine Grenzen.
Die Aneinanderreihung von gleichen Gegenständen einer Sorte hat eine kontemplative Komponente. Meditierst Du dabei?
Naja, in einem gewissen Sinne schon. In meiner Arbeit an den Objekten bin ich dann mitunter so vertieft und konzentriert, dass es sicher als eine Form der Meditation durchgehen kann. Es sind Glücksmomente.
Hast Du eine Lieblingsarbeit und warum?
Spontan fällt mir da eine Arbeit mit dem Rosaroten Panther ein. Das schlaue Paulchen ist zwischen einer Frage und der etwas versteckten Antwort platziert. Er fungiert als Fragensteller und ermuntert den Betrachter, die Antwort zu finden. Ich mag diese Art der Interaktion und natürlich das Paulchen.
Gibt es (eine) Arbeit(en), von denen Du Dich nicht trennen magst, da sie eine ganz intime, persönliche Geschichte versinnbildlichen?
Eher nicht. Alles, was ich zusammenstelle darf und soll den Besitzer wechseln. Ich freue mich, wenn sich andere daran freuen.
In diesem Zusammenhang hattest Du eine Ausstellung mit realen Geschichten von unterschiedlichsten Menschen und den entsprechenden Geschichtenträgern im Rahmen von 48 Stunden Neukölln kuratiert…
Kann man Dir einen persönlichen Geschichtenträger bringen und Du erzählst seine Geschichte neu? Also ein persönliches Kunstwerk als Auftrag? Geht es hier eher um Verewigung oder um therapeutische Transformationsarbeit?
2015 lautete das Festivalthema „S.O.S. – Kunst rettet die Welt“. Ich habe Freunde gebeten, mir von einem persönlichen, für sie einschneidenden Erlebnis zu berichten, das sie mit einem Gegenstand verbinden. Mit der Einbindung des jeweiligen Etwas innerhalb eines humorvollen oder augenzwinkernden Kunstobjekts, wollte ich einen neuen, bestenfalls positiven Kontext zwischen Gegenstand und Geschichtenträger schaffen. Hoffe, es ist mir hier und da gelungen. Das war mein eigenes themenbezogenes Projekt.
Bei einer Auftragsarbeit ist es weniger therapeutisch. Es geht tatsächlich eher um Verewigung. Oder vielleicht doch, wer weiß. Das wäre ein wunderbarer Nebeneffekt. Erhalte ich vom Kunden einen Gegenstand, möchte ich genau wissen, was es damit auf sich hat. Das ist wichtig, um dafür im wahrsten Wortsinn den passenden Rahmen zu schaffen. Meine Fragen an den Auftraggeber werden dann durchaus auch schon mal durch die Familie gereicht, um eine Antwort zu erhalten. Das ist spannend, auch für mich.
Ich erzähle also eine Geschichte nicht neu, sondern ich bringe alles mit ein, was ich zum Gegenstand gehört habe bzw. mir dazu in den Sinn kommt. Da können meine Gedanken dann auch schon mal um drei Ecken gehen. Meine Kunden lassen sich auf dem letzten Stück des Entwurfs auch mal ganz gerne überraschen.
Die Liebe zum Detail charakterisiert Dich als Person. Wie verhält es sich mit dem Gesamtbild – siehst Du es im Voraus vor Deinem inneren Auge oder entsteht es erst im Laufe der Arbeit?
Es ist seltener so, dass ich gleich ein Bild vor Augen habe. Es ist ein Prozess. Manches bleibt erstmal nach einer ersten Zusammenstellung liegen. Du hast dann irgendwie im Gefühl, das was noch nicht so ganz passt. Dann lass ich was weg, tausche aus oder füge hinzu. Auch hier ist mir der Zufall ein guter Berater. Die Arbeiten entstehen nicht nur aus dem Bauch heraus. Der Kopf erstellt das Konzept und lässt sich vom Gefühl lotsen.
Alle Deine Rahmen produzierst Du selber. Oft entsteht die Kunst erst durch/mit den/dem Rahmen.
Nicht alle Rahmen kann ich selbst herstellen. Ein wunderbarer Tischler mit der Seele eines Designers und Künstlers steht mir zur Seite. Inhalt und Rahmen gehören zu einem Konzept. Ich trenne das nicht.
Neben Deinen Installationen arbeitest Du als Produktdesignerin? Erzähl uns ein wenig über Deine Projekte. Was hast Du bisher am liebsten designed?
Das Designstudium war in vielen Belangen eine wichtige Grundlage für mich. Als reine Produktdesignerin verstehe ich mich allerdings nicht mehr. Wie in einem gut gemixten Cocktail, setze ich alles ein, was ich gelernt habe und für gut befinde. Ein Produkt bzw. ein Projekt, was mich seit meinem Studium begleitet, ist „seveninone“, eine Kaugummitasche, die ich für Streifenkaugummis entwickelt habe. Wenn du so willst, ist das etwas, woran doch sehr mein Herz hängt. Kaugummis kaue ich seit Ewigkeiten und es war auch mein Diplomthema.
Wie würdest Du Deine Kunden charakterisieren?
Wert(e)schätzend, humorvoll, offen, detailverliebt, herzlich.
Gibt es etwas was Du in Zukunft noch gern umsetzen würdest?
In meiner eigenen gedanklichen Schublade liegt schon seit ein paar Jahren ein Konzept für eine Reise durch alle 16 Bundesländer. Was ich unterwegs finde, mir zugetragen wird oder auf eine andere Art zu mir findet, würde ich in irgendeiner Weise zum jeweiligen Bundesland in Verbindung setzen. Das könnte spannend werden, weil ich ja selbst noch keinen Plan habe, wie das aussehen kann. Planen kann ich letztlich nur die Reiseroute.
Vielen Dank, liebe Carolin, für die Eindrücke und die wunderbare Zeit, die wir in Deinem außergewöhnlichen Lebensraum verbringen durften.
Mehr zu Carolin Kochs Arbeiten gibt es hier.